Betriebliche Übung

Die betriebliche Übung ist im Unterschied zu kollektiven Vereinbarungen eine spezielle betriebliche Art des Gewohnheitsrechts mit normativen Ansprüchen. Der Arbeitgeber macht ein Vertragsangebot an den Arbeitnehmer, der dieses ausdrücklich oder stillschweigend annimmt. Möglich ist dies nur, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die nicht im Arbeits- oder Tarifvertrag verbindlich geregelt ist, sondern der freien Gestaltung durch die Vertragsparteien unterliegt.

Häufigste Anwendungsfälle sind Weihnachtsgratifikationen, Ruhegelder, Schichtzulagen und Aufwendungsersatz, aber auch Pausenregelungen und Freistellungen an bestimmten Tagen (z. B. Karneval). Zahlt der Arbeitgeber diese Leistungen über Jahre ohne einen Vorbehalt, liegt eine betriebliche Übung vor, die für den einzelnen Arbeitnehmer Ansprüche begründet. Da es sich um für den Arbeitnehmer günstige Angebote handelt, reicht eine stillschweigende Zustimmung der Arbeitnehmer durch schlichtes Weiterarbeiten aus. Nicht entscheidend ist insoweit, ob der Arbeitgeber tatsächlich ein derartiges Angebot machen wollte, sondern ob die Arbeitnehmer aus seinem Verhalten auf entsprechende Ansprüche schließen konnten.

Will der Arbeitgeber das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern, muss er bei jeder Leistungsgewährung ausdrücklich und eindeutig erklären, dass es sich um eine freiwillige Leistung handelt, aus der für die Zukunft keine Ansprüche hergeleitet werden können. Ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt liegt z. B. vor, wenn der Arbeitgeber erklärt, die Leistung "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" zu erbringen oder angibt, "diese Zahlung ist einmalig und schließt zukünftige Ansprüche aus". Ein Freiwilligkeitsvorbehalt für mögliche Zahlungen bereits im Arbeitsvertrag könnte wegen der zunehmend strengeren Rechtsprechung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts zu diesen Formulierungen an § 309 Ziff. 12 b) BGB scheitern.

Eine einmal entstandene betriebliche Übung kann nur auf zwei Wegen wieder beseitigt werden. Zum einen können die Arbeitsvertragsparteien den entstandenen Anspruch einvernehmlich wieder aufheben. Zum anderen kann der Arbeitgeber nur für den Anspruch eine Änderungskündigung aussprechen. Eine solche Kündigung ist aber nur in engen Grenzen möglich und auf den Fall der Existenzgefährdung des Betriebs beschränkt. Früher konnte eine betriebliche Übung auch noch durch eine gegenläufig betriebliche Übung aufgehoben werden. Mit Urteil vom 18.3.2009 – 10 AZR 281/08 änderte das BAG seine Rechtsprechung und erklärte dieses Vorgehen als unvereinbar mit § 308 Nr. 5 BGB. Mit Urteil vom 13.5.2015 – 10 AZR 266/14 hat das Bundesarbeitsgericht eine weitere Voraussetzung der betrieblichen Übung aufgegeben: Eine Zahlung muss in den Vorjahren nicht mehr in gleichmäßiger Höhe erfolgt sein. Auch Zahlungen in jährlich wechselnder Höhe können eine betriebliche Übung begründen.